Samstag, 29. Juni 2013

Kann man aggressives Verhalten durch Belohnung und Zuwendung verstärken?


Die Sache mit den funktionalen Verstärkern

Den Ratschlag einen Hund, der Angstverhalten zeigt, zu ignorieren, hat jeder Hundehalter schon einmal gehört. Dies bedeutet seinen Hund weder anzusehen, anzusprechen, anzufassen oder zu füttern. Bei Aggressionsverhalten hört man diesen Ratschlag nur selten – aber dennoch ist die Angst des Hundehalters groß, das sogenannte unerwünschte Verhalten des Hundes zu verstärken.
Zu Beginn sollte in der Theorie eine emotionale und eine Verhaltensebene unterschieden werden. Dies ist sehr wichtig, um zu verstehen, wie Angst- und auch Aggressionsverhalten verändert werden kann.
In der Praxis ist es dennoch nie möglich Emotionen und Verhalten zu trennen, denn Emotionen spielen immer einer Rolle bei der Entstehung und auch der Veränderung von Verhalten und wir können Emotionen niemals außen vor lassen.

Welche Emotionen spielen bei aggressiven Verhaltenweisen eine Rolle?

Auch die Emotionen Wut und Frustration können aggressives Verhalten auslösen.
Die wichtigste Emotion im Zusammenhang mit Aggressionsverhalten ist Angst – entweder die Angst des Hundes eine für ihn wichtige Ressource zu verlieren oder die Angst, dass die eigene Sicherheit oder gar das eigene Leben bedroht ist. Die Emotion Angst gehört zu den ältesten Emotionen, da sich Lebewesen dank dieser Emotion besser an ihre Umwelt anpassen, frühzeitig Gefahren erkennen und mit einem passenden Verhalten reagieren können. Auch die Emotionen Wut und Frustration können aggressives Verhalten auslösen.
Die Emotion stößt ein Verhalten an und macht dieses wahrscheinlicher. Es ist mittlerweile erwiesen, wie Emotionen verstärkt oder abgeschwächt werden können.
Eine negative Emotion wie Angst, Wut oder Frustration wird verstärkt, wenn eine weitere negative Emotion hinzukommt.
Empfindet ein Hund Angst vor einer Mülltonne und seine Bezugsperson möchte nicht, dass der Hund an der Leine zieht und beugt sich deshalb über den Hund, um mit diesem zu schimpfen, kann das die Angst des Hundes verstärken, wenn die Körpersprache und die laute Stimme des Menschen zusätzlich in dieser Situation auf den Hund bedrohlich wirken. Zu der Angst vor der Mülltonne kommt in der Situation noch eine zusätzliche Bedrohung durch die Bezugsperson hinzu.
Kommt zu der negativen Emotion Angst, Wut oder Frustration eine positive Emotion wie Freude hinzu, kann die negative Emotion abgeschwächt werden.
Wenn sich ein Hund vor einer Mülltonne fürchtet und der Hundehalter streichelt seinen Hund an einer Stelle am Körper, an welcher dieser gern angefasst wird. Fühlt der Hund sich durch diese Zuwendung besser, kann die negative Emotion Angst abgeschwächt werden. Auch wir Menschen fühlen uns besser, wenn uns jemand Geborgenheit schenkt, wenn wir Angst haben – sofern uns dies angenehm ist. Kurz gesagt, es sollte von der Bezugsperson etwas folgen, was dem Hund angenehm ist und seine Gefühlslage verbessert.
Auf der anderen Seite kann auch eine positive Emotion durch eine negative Emotion abgeschwächt werden.
Es ist sehr wichtig zu wissen, dass nicht der Hundehalter darüber entscheidet, was für einen Hund angenehm oder unangenehm ist. Dies entscheidet immer der Hund und dies wird durch seine Gefühlslage bestimmt. Möchte man aggressives Verhalten ändern, muss auch immer auf der emotionalen Ebene gearbeitet werden. Können wir die Emotion Angst oder Wut abschwächen oder komplett verändern, wird der Hund das aggressive Verhalten nicht mehr zeigen, denn dazu gibt es dann keinen Grund mehr.
Wenn der Hund keine Angst mehr gegenüber einer Mülltonne empfindet, sondern sich sogar darüber freut, dass wieder eine Mülltonne am Straßenrand steht, weil etwas Positives passiert, wenn die Mülltonne da ist, wird er auf keinen Fall aggressives Verhalten zeigen, sondern ohne Angst auf die Mülltonne zugehen.

Und was passiert auf der Verhaltensebene?

Auf der Verhaltensebene findet beim Hund zum größten Teil ein Lernen über die Konsequenzen seines Verhaltens statt.
Aggressive Verhaltensweisen haben eine Funktion, wenn ihnen die Emotionen Angst oder Wut zu Grunde liegen: die Bedrohung vertreiben und damit Abstand zwischen Hund und Auslöser aufbauen. Die passende Belohnung für erwünschtes Verhalten, zum Beispiel das ruhige Ansehen eines Auslösers, wäre im besten Fall das Verschwinden dieses Auslösers.
Dies ist leider nicht immer umsetzbar, da man die Umwelt nur schlecht kontrollieren kann. Ein Trainingspartner kann hier wertvolle Unterstützung leisten.
Das Ziel im Training sollte deshalb sein, dass man nicht nur die Emotionen des Hundes gegenüber den Auslösern verändert, sondern dem Hund auch Alternativen an die Hand gibt, die er zeigen kann und bei denen der Hund die Erfahrung macht, dass er selbst Distanz zum Auslöser aufbauen kann.
Die Ziele im Training: Emotionen verändern und funktionale Alternativen für den Hund schaffen.
Im Training sollte an der emotionalen Ebene gearbeitet werden, zum Beispiel in dem immer etwas sehr Schönes für den Hund passiert, wenn die Auslöser für Aggressionsverhalten auftauchen. Verändern wir die Emotionen des Hundes fällt diesem eine Verhaltensänderung viel leichter.
Außerdem sollten wir ein alternatives Verhalten trainieren, wie zum Beispiel Distanz zum Auslöser aufbauen, was der Hund nutzen kann statt aggressives Verhalten zu zeigen. Dies ist sehr wichtig, denn die Emotionen wie Angst, Wut oder Frustration können wir bei Hunden nicht ganz abstellen oder durch Training verändern, aber wir können dem Hund eine Alternative zeigen, die sich für ihn lohnt und die er in solchen Momenten anwenden kann.
Einen Einblick in die Arbeit an aggressiven Verhaltenweisen gibt der Artikel von Eva Zaugg.

Das Markersignal vereint Emotionen und Verhalten

Eine Brücke zwischen der emotionalen und der Verhaltensebene kann das positive Markersignal schlagen.
Auf der emotionalen Ebene löst das positive Markersignal gute Emotionen aus, da es mit Bedürfnisbefriedigung und mit angenehmen Belohnungen seitens der Bezugsperson verknüpft ist. Es verstärkt damit niemals die Emotionen Angst oder Wut, sondern kann die Gefühlslage des Hundes in der Situation verbessern.
Auf der Verhaltensebene können wir damit Verhalten einfangen und dem Hund verdeutlichen, für welches Verhalten er eine Belohnung von uns bekommt.
Die Arbeit mit einem positiven Markersignal kann einen großen Teil dazu beitragen sogenanntem Problemverhalten vorzubeugen, da der Hund ganz nebenbei mit seinen Signalen, seiner Umwelt und seiner Bezugsperson positive Emotionen verknüpft.
Die Arbeit über positive Verstärkung und der Einsatz eines positiven Markersignals können Emotionen wie Angst, Wut oder Frustration nicht verschlimmern, sondern die emotionale Lage des Hundes verbessern.
Negative Emotionen wie Angst, Wut oder Frustration können nicht verstärkt werden, wenn wir gute Emotionen im Hund auslösen. Es ist wichtig, jeden Trainingsschritt und alle Konsequenzen im Training auf der emotionalen und der Verhaltensebene zu durchleuchten, um effektiv an einer Verhaltensänderung zu arbeiten und Angst- und Aggressionsverhalten vorzubeugen.